Category : Feuilleton Okt. 22nd, 2018

Kunst für die Tüte

Durch einen Bericht der 3sat Kulturzeit vom 24. September bin ich auf etwas aufmerksam geworden, was ich – und wahrscheinlich die meisten derer, die sie mit sich rumtragen – nicht wusste und mich aufmerksam werden ließ: Die ALDI-Tüte, die seit den 1970er-Jahren in Umlauf und mehr als jede andere Tüte polarisert, stammt aus der Feder eines renommierten Malers und Grafikers – Günter Fruhtrunk (1923–1982) und stellt gleichzeitig sein berühmtestes Werk dar. 1968 erfuhr er mit der Teilnahme an der documenta 4 breite Aufmerksamkeit und sorgte mit seinen abstrakten farbigen Streifenbildern für Furore. Nach eigener Ausage Fruhtrunks ›habe er mit dem ALDI-Auftrag gesündigt‹ und damit seinem Ruf sogar geschadet. Die Bekanntheit der Aldi-Tüte bzw. ihr Motiv überragt bei weitem die der anderen zahlreichen Werke von ihm. (Hatje Cantz veröffentlichte unlängst ein umfangreiches Werkverzeichnis Fruhtrunks.) Obwohl die Entscheidung für einen großen Konzern zu arbeiten und einen Auftrag anzunehmen, Ende der 1960er-Jahre sehr verpönt war und zum Unmut vieler seiner Mitstreiter sorgte, erfüllte er damit den ebenso geltenden Anspruch ›Kunst für Alle‹ zugänglich zu machen. Jeder sei somit in der Lage sich ein Kunstwerk zu leisten. Seit diesem Jahr wird das Motiv Fruhtrunks nicht mehr auf den regulären Tragetaschen sondern nur noch auf Gefriertüten zu sehen sein. Eine Ära geht somit zu Ende und weckt damit das Bedürfnis noch einen ›Fruhtrunk‹ zu ergattern und an einer Stelle unsere Wänden zur Geltung kommen zu lassen.

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